Auf dem Gebiete des
deutschen Großschiffahrtswesens hat sich am 12.August 1902 ein
bedeutungsvolles Ereignis, der Stapellauf des nunmehr größten
Schnelldampfers der Welt, auf der Werft des Stettiner Vulcan
vollzogen. Das gewaltige Schiff empfing bei der Taufe den Namen
Seiner Majestät des Kaisers, welcher durch seine Anwesenheit Stettin
und dem Vulcan einen großen Festtag bereitet hatte. Der stetig und
erfolgreich vorwärts strebende Norddeutsche Lloyd in Bremen hat ein
neues Wunderwerk deutscher Ingenieurskunst mit Hilfe des zielbewußt
schaffenden Vulcan erstehen lassen. Seit nunmehr 5 Jahren sind auf
dieser Werft 4 riesige Schiffe, „Kaiser Wilhelm der Große“,
„Deutschland“, „Kronprinz Wilhelm“ und „Kaiser Wilhelm II.“ gebaut
worden, die als vornehm ausgestattete Passagierschiffe durch ihre
Schnelligkeit alle anderen Wettbewerber weit überholt haben.
Deutschlands Ocean-Renner haben selbst Englands und Amerikas
Windhunde siegreich geschlagen. Der verzweifelte Versuch, den
England nach dem Erfolge unseres „Kaiser Wilhelm der Große“ damit
machte, daß es einen den alten Leviathan der Meere „Great Eastern“
(1852) in seiner Länge von ca. 210 m noch übertrumpfenden
Schnelldampfer, den „Oceanic“ baute, welcher 1899 vollendet wurde,
ist nicht geglückt. Trotz aller Anstrengung können nämlich diese
englischen Riesendampfer die außerordentlichen Geschwindigkeiten von
11-24 Seemeilen der deutschen Schiffe nicht erreichen; mit 28.000
Pferdestärken seiner beiden Maschinen läuft „Oceanic“ nur wie die
Schnelldampfer der älteren Zeit mit 19-20 Seemeilen in der Stunde
(Die Seemeile = 1852m, das ist 1 Knoten in der alten
Schiffersprache). Bei der Erfüllung der großen Aufgaben des
Weltverkehrs haben sich Großschiffahrt und Schiffbau in keinem
anderen Lande so verständnisinnig die Hand gereicht, wie an unserer
deutscher Wasserkante die beiden größten Schaffahrtsgesellschaften
des Erdenrundes, die Hamburg-Amerika-Linie und der
Norddeutsche-Lloyd mit dem Stettiner Vulcan. Dabei sei das Verdienst
der anderen großen Schiffbauanstalten Deutschlands, wie Schichau in
Danzig, Blohm & Voss in Hamburg, die Weserwerft in Bremen,
Tecklenburg in Geestemünde, die Werften von Flensburg und Kiel u.
a.m. nicht in den Schatten gestellt, alle leisten Anerkennenswertes
und sind den englischen Rivalen mindestens ebenbürtig. An
Tüchtigkeit der Leistung stehen wir auf diesem Gebiete obenan, die
Überlegenheit an Größe und Zahl der Schiffe im Weltverkehr können
wir neidlos England zugestehen! Haben doch Lloyd und
Hamburg-Amerika-Linie durch die Promptheit und Sicherheit unserer
Truppentransporte nach Ost-Asien und zurück mit Auszeichnung
bestanden; wie bei der Erfüllung gleicher Aufgaben die Engländer
nach Süd-Afrika abgeschnitten, davon haben die verschwiegenen Kabel
nur wenig der Außenwelt erzählt. Begnügen wir uns vorerst mit der
Überlegenheit durch Qualität, wofür ein neues Beispiel vom Lloyd und
Vulcan in Gestalt ihres neuesten stolzen Schiffes, des künftig
schnellsten Oceandampfers „Kaiser Wilhelm II.“ gegeben ist.
Mit der erst seit 20 Jahren eingeführten Doppelschraube wuchs die
Größe und Schnelligkeit der Dampfer enorm. Die drei in Fahrt
befindlichen deutschen Schnelldampfer neuesten Typs, wie er sich
seit 1897 herausgebildet hat, sind hinsichtlich der Maschinenkräfte
dem neuesten englischen Monstrum „Oceanic“ überlegen und zwar der
Reihenfolge nach um zwei- bis zwölftausend Pferdestärken, in der
Geschwindigkeit bei voller Fahrt um 3-5 Seemeilen („Kaiser Wilhelm
der Große“ = 22,5 Meilen und der neueste „Kaiser Wilhelm II“ = 24
Seemeilen) zehntausend Pferdestärken mehr erfordert, eine gewaltige
Kraft für eine verhältnismäßig geringe Vergrößerung der
Schnelligkeit.
Mit Recht fragt man, wo soll das hinaus? Der Fachmann ist sich
darüber klar, daß wir mit den gegebenen Hilfsmitteln nahezu an der
Grenze des Möglichen in Bezug auf Maschinenstärken und
Geschwindigkeit dieser Schiffe angelangt sind; der Widerstand den
das Schiff im Wasser erfährt, wächst in weit höherem Grade, als die
Geschwindigkeit steigert. Es würden z.B. bei einer Erhöhung der
Geschwindigkeit „Kaiser Wilhelm II.“ auf 25-26 Meilen zu seinen
jetzt 40.000 Pferdestärken noch etwa deren 15.000 hinzukommen
müssen. Das gäbe gänzlich unwirtschaftliche Schiffe, deren Inhalt
schließlich nur aus Kessel-, Maschinen- und Kohleräumen bestehen
würde, so daß für die nützliche Zuladung viel zu wenig übrig bleibt;
dabei treten noch allerlei Begleiterscheinungen technischer Natur
ein, wie insbesondere die starke Inanspruchnahme der
Konstruktionsteile des Schiffskörpers, hinsichtlich ihrer
Festigkeit; denn mit zunehmender Geschwindigkeit wächst die Gefahr
für die festen Verbände zwischen den Rippen und der Außenhaut des
Schiffes, also zwischen Spanten und Planken. (Zitat um längere
technische Ausführungen gekürzt).
Über die äußere Gestaltung des Schiffes, die noch nicht vollkommen
in die Erscheinung tritt, läßt sich jetzt nur soviel sagen, daß es
mit seinen 2 übereinanderliegenden Promenadendecks, den übrigen
Decksaufbauten, mit den 4 gewaltigen Schornsteinen und 3 Pfahlmasten
für das Auge des Kenners guter Schiffslinien gefällige, ebenmäßige
Formen und Linien zeigen wird. Bezüglich des Fassungsraumes zur
Aufnahme von Passagieren mögen folgende Zahlen dienen. In 290
Kabinen erster Klasse können 775 Personen, in 107 Kabinen zweiter
Klasse 343, alle über Hauptdeck und in den Aufbauten darüber bequem
untergebracht werden, während 770 Passagiere dritter Klasse im
Haupt- und Unterdeck Platz finden. Für die aus etwa 600 Köpfen
bestehende Schiffsbesatzung sind ebenfalls gute Wohnräume
vorgesehen. Der Maschinenbetriebsdienst erfordert 280 Mann, während
auf die Schiffsmannschaft 50 entfallen, alle übrigen dienen dem
Wirtschaftsbetriebe. Eine große Zahl Offiziere und Beamte stehen den
verschiedenen Dienstzweigen vor. Insgesamt nimmt das Schiff in
seinen vollbesetzten Räumen nahezu 2500 Menschen auf. Die Kabinen
der ersten und zweiten Klasse sind für 1-4 Personen eingerichtet.
Die erste Klasse bietet aber auch zwei Fürstenwohnungen, 8
Luxuswohnungen und 8 Staatszimmer mit allem nur erdenklichen
Komfort. Die gemeinsam zu benutzenden großen Räume der ersten und
zweiten Klasse bestehen aus zwei Speisesälen für 554 und 190
Sitzplätze, aus je einem Gesellschaftsraum und Rauchzimmer; die
erste Klasse genießt noch den Vorzug einer Bibliothek, eines Lese-
und Schreibzimmers. Eine besondere Speisenzubereitungseinrichtung
und ein Wiener Cafe, als getrennte Verpflegungsstätten, stehen allen
denjenigen zur Verfügung, welche fern vom Tafelzwange leibliche
Genüsse empfangen wollen. Die erste Klasse befindet sich im weit
ausgedehnten Mittelschiff über Hauptdeck und alle darüber liegenden
Aufbauten, die zweite in dem räumlich beschränkteren Hinterschiffe,
die dritte Klasse im Vorschiff nächst der Back, deren
Unterkunftsräume von Bootsleuten und Matrosen eingenommen werden.
Alle bewohnbaren Räume sind wie die besseren Wohnungen zu Lande mit
Bewässerung, Entwässerung, Centralheizung und Beleuchtung, sowie mit
elektrischen Klingelanlagen versehen. (….) Zu den
Wohlfahrtseinrichtungen gehören noch eine große Zahl Bäder und
Toilettenräume, ferner Zimmer für die Verschönerung des äußeren
Menschen, wo Friseure und Barbiere emsig wirken, und endlich auch
Hospital und Apotheke, denen ein tüchtiger Arzt vorsteht. Große
bequem zugängliche Gepäckräume und das deutsch-amerikanische
Postamt, in dem zwei Beamte und mehrere Unterbeamte wirken, sind
fernerhin zu erwähnen. (…)
Ein solcher Kraftaufwand erfordert für eine Reise zwischen Bremen
und New York 5600 t Kohlen, einschließlich Reserve, also 560
Eisenbahnwagenladungen von je 200 l, das ist einen Eisenbahnzug von
der Länge einer halben deutschen Meile! Täglich werden
durchschnittlich 14.000 ltr. Kohlen verbraucht. (…)
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