Für
die Älteren unter uns sind Ansichtskarten nicht besonderes. Es
gehörte über Jahrzehnte zum festen Ritus den Daheimgebliebenen eine
Ansichtskarte aus der Ferne zu senden. Für die Jugend heute, im
Zeitalter von WhatsApp, sind sie ein Anachronismus.
Doch
auch uns aus der Ü50-Generation fällt bei manchen Karten der
Kinnladen herunter. So wie bei dieser Ansichtskarte, die 1912 in
Deutsch-Südwestafrika aufgegeben wurde. Dargestellt ist eine
Prügelstrafe auf das nackte Hinterteil. Da fragen wir uns, wer
verschickt so etwas und welchen Grund hatte so eine Motivauswahl?
Wer druckt so etwas? |
Stellen
wir erst einmal die Fakten auf. Die Ansichtskarte ist vom
Fotoatelier Nink aus Windhuk verausgabt. Die Karte erschien als
Nummer 24 der 5.Serie (der Rest der Serie sind unspektakuläre
Landschaftsbilder). Die Situation wirkt gestellt, in schwarzweiß
fotografiert und nachkoloriert. Die Uniform des Ausführenden
erscheint merkwürdig, vor allem die rote Schärpe. Das Fotoatelier
hat das Motiv sicher aufgenommen, weil andere Verlage ähnliches
nicht anboten und es sich Käufer erhoffte.
Bei
der Überprüfung der Szene helfen uns unter anderem Fotos von Gustav
Fett im Afrikahaus Sebnitz 1
und in „Die deutschen Kolonial- und Schutztruppen“ (Kraus/Müller,
Wien 2009). Die Art und Weise der Bestrafung (Stock oder kurze
Peitsche) ist mehrfach dokumentiert, die Vollstreckung erfolgte
durch einheimisches Justizpersonal. Beispiele von Straftaten sind
tätlicher Angriff, Einbruch oder Sittlichkeitsverbrechen. Obwohl im
Deutschen Reich die Prügelstrafe längst abgeschafft war
2,
wurden im Schutzgebiet Eingeborene noch so bestraft. Auch die
Uniform der Justizangestellten ist dort belegt – allerdings ohne die
Schärpe.
Ansichtskarten
mit brutalen Darstellungen waren damals nicht unüblich und so
abwegig wie heute. Besonders aus dem Boxeraufstand in China gibt es
Dutzende Beispiele von Bildern von Exekutionen und rollenden Köpfen
- ich verzichte auf Beispiele. Man mag sich heute nicht vorstellen,
daß Kinder solche Bilder leicht sahen.
Die
Karte selbst ist selten, wurde also wenig verschickt und geht bei
Ansichtskarten-Sammlern schnell für über 50 Euro über den Tisch.
Weiterhin zählt zu den Fakten, daß diese und ähnliche Darstellungen
gern von kolonialkritischen Historikern genutzt werden, um in
Artikeln die harte Kolonialherrschaft zu verdeutlichen.
Verlassen
wir nun die Fakten und kommen zur Interpretation: Wer verschickt
eine Ansicht, die uns heute unmoralisch oder bizarr anmutet?
Hinweise gibt die Rückseite der Ansichtskarte
3: |
Die
Karte wurde am 1.12.1912 in Windhuk aufgegeben. Adressat ist ein
Mann in Berlin. Absender ist der Gefreite Kolb bei der 4.
Eisenbahnbau-Kompagnie. Der Text „Globus 3182 Agricola-Hedwig“ ist
erst einmal rätselhaft. Er erschließt sich mit dem Wissen, daß
„Globus“ eine Gruppe von Ansichtskartensammlern war und jeder zur
Mitgliedsnummer einen „Spitznamen“ (Nickname) hatte.
Die
Vermutung liegt nahe, daß sich da ein Ansichtskartensammler ein
Motiv aussuchte, das bei einem anderen, männlichem Sammler
Aufmerksamkeit erregen sollte. Der Sammlerfreund hatte sicher jede
Menge Landschafts- oder Gebäudebilder. So eine Strafansicht erschien
dem Absender offenbar als etwas Besonderes. Vielleicht war das auch
witzig gedacht, als derber Humor? Bei einem Sammlernamen „Agricola-Hedwig“
von einem Soldaten nicht unwahrscheinlich.
Mit
dieser Interpretation erhalten wir eine plausible Begründung zur
Geschichte dieser Karte. |